Predigt

Zentimeterdick schmierte sich meine Oma, als sie das noch konnte, die Butter auf ihr Brot.

„Als Kind musste ich so viel verzichten. Da muss ich heute nicht mehr an der Butter sparen.“ Sagte sie immer, wenn andere sie schräg von der Seite anschauten.

Aus Erzählungen weiß ich, sie hatte wirklich Hunger als Kind. Und auch in der Zeit nach dem Krieg hatte sie es im Leben eher schwer.

Und dann kam der Aufstieg.

Und der Wohlstand.

Und eigentlich wurde das Leben immer nur einfacher, und besser.

Nun ist sie alt und sie ist im Heim. Und sie mag nicht mehr, aber das ist eine andere Geschichte.

Im Grunde genommen gehört sie zu denjenigen, für die es im Leben im Laufe der Zeit immer besser wurde.

Aus der bitteren Armut heraus konnte sie ihren Wohlstand wertschätzen.

Und für sich den Entschluss fassen, dass es keinen Verzicht mehr geben sollte. Dabei blieb sie immer sparsam. Und bescheiden. Achtete genau darauf, wofür sie Geld ausgab und wofür nicht. Aber an der Butter musste sie nicht mehr sparen. Und beim Schlachter verlangte sie immer nach dem Besten.

Ich gehöre zu denjenigen, die das, was meine Oma durchmachen musste, nie am eigenen Leibe erfahren haben.

Ich musste nie sparen.

Weder an der Butter auf dem Brot. Und auch nicht am Fleisch.

Noch überhaupt: ich kenne keinen Hunger.

In mein Leben, in das Leben nachfolgender Generationen hat sich dafür etwas anderes geschlichen.

Das schlechte Gewissen.

Mir geht es gut, während in anderen Teilen der Welt Menschen Hunger leiden.

Mir geht es gut, auf Kosten des Klimas und überhaupt der Umwelt.

Ich esse und trinke, und Tiere lassen dafür ihr Leben.

Für meine Generation gibt es alles. Wir könnten alles haben. Alles essen. Alles ist da.

Nichts ist verboten.

Aber: es fühlt sich verboten an.

Die Banane aus Südafrika.

Die Wurst aus dem SB-Regal.

Der Zucker in der Sahnetorte.

Das Cholesterin im Ei.

Wer eine unreine Haut hat, sollte auf Milchprodukte verzichten.

Wer Schmerzen in den Gelenken hat, auf Schweinefleisch.

Ist das alles kompliziert geworden. Der eine isst dies nicht, der andere isst das nicht. Der eine ist Vegetarier, die andere hat eine Gluten-Intoleranz.

Früher gab es das nicht.

Da hat man gegessen, was auf den Tisch kam.

So sagen Menschen manchmal.

Und in gewisser Weise haben sie natürlich recht.

Es ist, wenn man so will, ein unechter Brief, der es ins Neue Testament geschafft. Der 1. Timotheus-Brief.

Da gibt sich einer für Paulus aus und schreibt an einen Gemeindevorsteher namens Timotheus.

Fake könnte man sagen, aber was er schreibt, scheint so wichtig und richtig und wahr gewesen zu sein, dass der Brief aufbewahrt wurde. Und die Kirchenväter später beschlossen haben, ihn in den Kanon der Heiligen Schrift aufzunehmen.

Weil es anscheinend schon unter den frühen Christen Menschen gab, die ganz bewusst verzichtet haben. Und die es anderen auch vorschreiben wollten, zu verzichten. Hunger zu haben. Dieses und jenes nicht zu essen. Zu fasten.

Sie haben verzichtet, aber nicht aus freien Stücken. Es war ein Zwang, ein innerer Zwang und ein äußerer.

Vom Gewissen ist die Rede in diesem 1. Timotheus-Brief. Von dem Gewissen, das diese – wie es heißt – falschen Lehrer den Menschen einbläuen.

Der Schreiber regt sich mächtig darüber auf.

Bis er befindet:

Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut. Wir brauchen nichts davon abzulehnen, sondern dürfen es alles gebrauchen – wenn wir es nur mit Dank aus der Hand Gottes empfangen. 5Denn durch das Wort Gottes und durch unser Dankgebet wird es rein und heilig.

Immer wieder auch im Laufe der Kirchengeschichte wurde es anders gehandhabt.

Es war Luther selbst, der sich gegen die Fastenpraxis ausgesprochen hatte.

Und das Leben genossen hat.

Und er war bei alledem so dankbar, weil er in seinen ersten Lebensjahren eben auch diese andere Erfahrung gemacht hatte. Um Gott zu gefallen, hatte er verzichtet, gefastet.

Ich stelle es mir zur Zeit des 1. Timotheusbriefes und zur Zeit Luthers so vor wie heute. Wenn Menschen für ein höheres Gut Verzicht zu einer Lebensaufgabe machen. Die Welt und das Leben retten, verlängern, heilen.

Luther muss später, als er die Zeit im Kloster überwunden hatte, beinahe eine Art Lebemann gewesen sein, trank gern Wein und Bier in Gemeinschaft. Sein Haus war wohl immer voll. Es gab immer genug für alle.

Heute verzichtet niemand mehr wegen Gott, das haben wir von Luther gelernt.

Heute verzichten wir für die Umwelt, die Erde, die Tiere, die eigene Gesundheit.

Und in gewisser Weise ist das auch wichtig.

Der Earth overshoot day ist jedes Jahr der Tag, an dem die natürlichen Ressourcen der Erde aufgebraucht sind. Seit dem 1. August diesen Jahres leben wir auf Pump, auf Kosten unseres Planeten.

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, vor der wir stehen: das Leben auf dieser Erde zu erhalten.

Und jeder einzelne muss mitmachen, einstecken.

Wenn der Brief an den fiktiven Gemeindevorsteher Timotheus wahr ist. Und womöglich heilig. Dann transportiert er für uns heute eine zeitlose Botschaft.

Es ist ein Text, der nicht zu denjenigen spricht, denen ohnehin alles egal ist.

Die sind in biblischen Worten oft nicht angesprochen.

Dieser Text spricht zu denen, die verzichten, und sich selbst dabei nichts Gutes tun. Ihrer Seele nicht, und ihrem Körper auch nicht.

Wir brauchen nichts davon abzulehnen, was Gott uns geschenkt hat. sondern dürfen es alles gebrauchen – wenn wir es nur mit Dank aus der Hand Gottes empfangen.

Manchmal möchte ich glatt sagen:

Glückselig ist meine Oma. Die bescheiden war. Sparsam. Aber der es gut ging, weil sie mehr oder weniger bewusst das genossen hat, was ihrer Seele und ihrem Körper guttat. Und ihr ökologischer Fußabdruck war in dieser Nachkriegsgeneration insgesamt bestimmt kleiner als meiner.

Amen